LNV Baden-Württemberg e.V.
  Aktuell Über uns Stellungnahmen Veröffentlichungen Themen LNV-Stiftung Kontakte Sitemap
Broschüren/Film
Positionen
LNV-Infos
Rundschreiben
Sonstige
 

INFO 3/2001

Leitbild Tourismus

Baden-Württemberg bietet aufgrund seiner landschaftlichen Vielfalt und Schönheit beste Voraussetzungen für die Erholung von Menschen in der Natur. Der Fremdenverkehr hat daher im Land schon immer eine wichtige Rolle gespielt.
Die Zunahme der frei verfügbaren Zeit und der zunehmende Wohlstand großer Teile der Bevölkerung haben zu einer enormen Ausweitung des Fremdenverkehrs auch in Baden-Württemberg geführt. Allmählich zeigen sich ähnliche negative Folgen wie in den großen Tourismusgebieten Europas, den Alpen und dem Mittelmeerraum.
Das Florieren des Fremdenverkehrs führt zu einer Fülle von Plänen und Vorhaben, die der Erschließung von Tourismusgebieten und der Errichtung von Infrastruktureinrichtungen dienen sollen. Deshalb müssen die Naturschutzverbände immer häufiger Stellung nehmen zu Projekten der Tourismusinfrastruktur. Sie müssen sich auch zur Förderung von sogenannten "Natursportarten" äußern, die aus Sicht des Naturschutzes schwerwiegende störende - oder gar zerstörende - Auswirkungen auf Biotope und Arten freilebender Tiere und Pflanzen haben können. In der Öffentlichkeit findet eine ablehnende Haltung aus Naturschutzgründen oft wenig Verständnis.
Aus diesem Grund hat der LNV auf der Basis eines Papiers der Naturfreunde zusammen mit diesen das vorliegende "Leitbild Tourismus" erstellt. Es soll zum einen den ehrenamtlichen Mitarbeiter/innen der Naturschutzverbände eine Handreichung sein für Stellungnahmen und Diskussionen vor Ort. Zum anderen wollen wir damit Bürgern, Vertretern von Kommunen, Urlaubern und Sportlern die Gründe unseres Handelns erklären. Und nicht zuletzt gibt das Leitbild Hinweise darauf, wie nachhaltige, naturverträgliche Erholung aussieht und wie Tourismus in Zukunft gestaltet werden muss, damit er seine eigenen Grundlagen - die Natur - nicht zerstört.

Inhaltsverzeichnis
Einleitung
Analyse der Tourismusentwicklung
Konfliktfelder des Tourismus
Allgemeine Leitlinien für eine Nachhaltigkeitsstrategie
Forderungskatalog zur Verwirklichung eines nachhaltigen Tourismus


Leitbild Tourismus
Tourismus ist ein Phänomen der urbanen Industriegesellschaft der nördlichen Industriestaaten. Der Freizeit- und Vergnügungstourismus ist vor mehr als 150 Jahren in Europa entstanden und hat sich seither zu einem wichtigen Wirtschaftszweig entwickelt. Es wird geschätzt, dass inzwischen einer von neun Beschäftigten im Tourismussektor arbeitet und der Tourismus zum größten Wirtschaftsbereich noch vor der Öl-, Auto- und Elektronikindustrie aufgestiegen ist. Der Tourismus erfüllt wichtige Ausgleichsfunktionen für die Industriegesellschaft. Die wesentlichste ist sicherlich die Erholung von der Monotonie und den Belastungen des Arbeitslebens in der Natur, in Erholungsanlagen, beim Sport oder beim Vergnügen. Aber auch Bildung, Lernen oder Neues erfahren gehören zu diesen Ausgleichsfunktionen. Gleichzeitig wird von Urlaub und Freizeit erwartet, dass sie Selbstverwirklichung und -bestätigung liefern und zwar auf eine möglichst genussvolle wie auch erlebnisreiche Weise. Diese Bedürfnisse werden durch ein immer breiter gefächertes Angebot im Tourismusbereich befriedigt, das nach immer Ausgefallenerem sucht und das weder auf die einheimische Bevölkerung noch auf Natur und Umwelt Rücksicht nimmt.

Ein Tourismusleitbild, an dem sich Natur- und Umweltschutzverbände orientieren können, muss aber neben der Berücksichtigung der Erholungsbedürfnisse der Menschen auf Nachhaltigkeit ausgerichtet sein. Das heißt, dass wir nur einen Tourismus akzeptieren und fördern können, der die natürlichen Lebensgrundlagen wie Boden, Wasser, Klima, Luft, Tier- und Pflanzenarten und deren Lebensgemeinschaften usw. schont und sichert. Dieser Tourismus muss langfristig ökologisch tragbar, wirtschaftlich machbar, ethisch und sozial gerecht für die ortsansässigen Gemeinschaften sein ("Charta für einen nachhaltigen Tourismus", World Conference of Sustainable Tourisme 1995).

Analyse der weltweiten Tourismusentwicklung
Laut Angaben der Welttourismusorganisation (WTO) hat sich die Anzahl der internationalen Reisen seit 1950 mehr als verzwanzigfacht, zwischen 1971 und 1997 immerhin verdreifacht. Aber die Zahl von 613 Millionen Reisenden im Jahr 1997 stellt nur die Spitze eines Eisberges dar, weil Inlandsaufenthalte und Tagesausflüge darin nicht enthalten sind. Es wird ein Wachstum von 4,3 Prozent pro Jahr geschätzt, was bedeutet, dass wir im Jahr 2020 mit 1,6 Milliarden ausländischen Gästen rechnen müssten. Für den Großteil der Weltbevölkerung ist Urlaub und Reisen allerdings kein Thema. Europa verzeichnet nach wie vor die größten Urlaubsströme und hier wiederum reist niemand so häufig wie die Deutschen. Heute unternehmen 76 Prozent der Bevölkerung (ab 14 Jahre) in Deutschland jährlich eine mehr als 5 Tage dauernde Urlaubsreise. Im Jahr 1960 waren es noch 28 Prozent und im Jahr 1970 schon 42 Prozent.
Die Gründe für das rasante Wachstum des Tourismusmarktes sind vielfältig: höherer Lebensstandard in den Industriestaaten, mehr Freizeit und Urlaub, verbesserte und preisgünstige Verkehrsmittel. Dazu kommt, dass sich der Anteil von bestimmten und traditionell reisefreudigen und mobilen Gruppen laufend erhöht: Senioren, Single-Haushalte und Haushalte ohne Kinder.

In der generellen Tourismusentwicklung sind leider eindeutig Trends zu ökologisch belastenderen Reise- und Tourismusformen festzustellen:

  • Auslandsreisen werden bevorzugt
    Bei den Auslandsreisen steht Deutschland weltweit an erster Stelle. Es folgen die USA, Großbritannien und Frankreich. Von allen deutschen Urlaubsreisenden unternehmen inzwischen 70 Prozent eine Reise ins Ausland. Im Jahr 1965 waren es noch 43 Prozent. Beliebteste Zielländer sind seit Jahren Spanien, Italien und Österreich.
    Die Anzahl der weltweiten Auslandsreisen soll sich nach Schätzung der WTO von 0,6 Milliarden Mitte der 90er Jahre bis auf 3,2 Milliarden im Jahr 2040 erhöhen. <>

  • Der Fernreisemarkt wächst
    Mit der Verlängerung des gesetzlichen Jahresurlaubs in den Industriestaaten und den Verbilligungen der Flugpreise, setzte in den 80er Jahren der Trend zu Fernreisen ein. 1995 hatten 25 Prozent aller Reisen Ziele außerhalb des Heimatkontinents. Bis zum Jahr 2020 soll dieser Prozentsatz auf 32 Prozent steigen. Bevorzugtes Verkehrsmittel ist das Flugzeug.

  • Kurzreisen nehmen zu
    Die Zergliederung der Arbeitszeit (Flexibilisierung) führt zu immer mehr wie auch kürzeren Freizeiteinheiten. Statt des klassischen dreiwöchigen Sommerurlaubs werden mehrere verschiedene Reisen unternommen. Dazu kommen verlängerte Wochenenden z.B. zum Schi fahren in die Alpen und kurzfristige Städtetrips. Im Angebot stehen sowohl die Shopping-Tour nach Hongkong wie auch das romantische Wochenende im Schwarzwälder Luxus-Hotel.

  • Das Auto bleibt Hauptverkehrsmittel
    Das Auto ist nach wie vor das dominierende Verkehrsmittel der Reisenden, mit steigender Tendenz. Allein in den Alpen reisen jährlich 100 Millionen Gäste mit dem PKW an. Selbst bei Flugreisen verwenden die Reisenden ein Leihauto für Wegstrecken in der Zielregion. 1998 nutzten rund die Hälfte der Reisenden das Auto oder das Wohnmobil für ihre Urlaubsreise. Nur 9,6 Prozent reisten mit dem Bus und lediglich 6,6 Prozent mit der Bahn.

  • Flugreisen nehmen zu
    Das Flugzeug als Reiseverkehrsmittel verzeichnet in den letzten Jahren die höchsten Wachstumsraten. Die Hälfte der weltweit geflogenen Kilometer geht auf das Konto des Tourismus. Im Jahr 1993 hatte allein in Deutschland der Urlaubsverkehr einen Anteil von 69 Prozent am Gesamtflugverkehr. Laut Prognosen soll dieser Anteil bis zum Jahr 2010 auf 74 Prozent ansteigen. Besonders Kurzflüge nehmen überproportional zu. 40 Prozent aller Flugreisen sind heute schon kürzer als 800 Kilometer.

  • Massenangebote liegen im Trend
    Es gibt eine eindeutige Entwicklung zu Massenangeboten wie Themen- und Vergnügungsparks mit 1-15 Millionen Besuchern pro Jahr. Diese touristischen Großeinrichtungen sind in besonderem Maße Verkehrserreger mit Belastungen in Umkreisen von mehreren hundert Kilometern.

  • Naturbelastende Sportarten sind weiter im Zunehmen
    In den letzten Jahren hat jeder fünfte Bundesbürger (ab 14 Jahre) eine private Reise unternommen, um sich am Urlaubsziel sportlich zu betätigen. Gleichzeitig gibt es einen deutlichen Trend zur Ausübung von Freizeitaktivitäten in der freien Natur. In den Bergregionen spielen Schi fahren, Klettern und ungeführte Wanderungen , die naturunverträglich sein können, wenn sie nicht auf markierten Wanderwegen durchgeführt werden, eine große Rolle. Aber auch der Wassersport ist eindeutig dabei, sich zum Massensport zu entwickeln. Im allgemeinen Bedürfnis der Menschen nach authentischen Erlebnissen gewinnen außerdem neue, möglichst ungewöhnliche Sportarten z. B. Drachenfliegen, Heliskiing usw., immer mehr an Bedeutung. Insgesamt nehmen vor allem Individualsportarten zu, die losgelöst von Vereinen betrieben werden.

Konfliktfelder des Tourismus und der Naherholung mit dem Umwelt- und Naturschutz (Schwerpunkt Mitteleuropa)
Die Aufzählung der möglichen Beeinträchtigungen oder gar Schädigungen von Natur durch Tourismus kann nur beispielhaft sein und bezieht sich im folgenden auf Mitteleuropa. Es ist sehr wohl bewusst, dass die ökologischen Schäden durch Tourismus in anderen Gebieten erheblich größer sein können. Sie sind zum Teil mit dem heutigen Kenntnisstand nur abzuschätzen.
  • Tourismus ist Verkehr
    Der Verkehr ist in Mitteleuropa das größte Problem des Tourismus. Mit der Lösung der Verkehrsproblematik wären die größten Umweltbelastungen (Abgase, Versiegelung, Lärm, Beunruhigung,...) vermieden. 90 Prozent der Energie, die jeder Tourist durchschnittlich verbraucht, wird für die An- und Abreise verbraucht. Das Automobil als weitgehend für jedermann und jederzeit verfügbares Verkehrsmittel sagt der mobilen Gesellschaft am meisten zu. Dabei ist das Auto, was Platzbedarf, Schadstoffe und Energiebedarf betrifft, die schlechteste Alternative für die Umwelt. Allein der Primärenergieverbrauch beträgt z.B. während einer Reise Frankfurt nach Ostfriesland mit dem PKW (3 Personen) 770 MJ., bei der Fahrt mit der Bahn liegt er bei 380 MJ. (ifeu 1997). Auf die erhebliche Landschafts- und Naturzerstörung sowie Versiegelung durch Straßenbau muss angesichts dieser Energiebilanz nicht mehr eingegangen werden.
    Mehr als 50 Prozent des Flugverkehrs ist dem Tourismus zuzurechnen. Zwar sind die Emissionen des Flugverkehrs zu denen des Gesamtverkehrs relativ gering, doch die freigesetzten Stickoxide erzeugen in den hohen Flughöhen deutlich größere Ozonmengen als in Erdnähe und wirken als Treibhausgase. Die Auswirkungen des Flugverkehrs auf den Treibhauseffekt sind überproportional groß (ifeu 1997). Für die Urlaubsflugreisen verbrauchten die Bundesbürger 1993 4,1 Mio. Tonnen Kraftstoff. Dies sind zwei Drittel des Kraftstoffverbrauches im Flugverkehr. Bis 2010 erwartet das ifeu-Institut einen Verbrauch von über 6 Mio. Tonnen Flugbenzin nur für die Urlaubsreisen der Bundesbürger. Damit steigen auch die Produktion der wesentlichen Schadstoffe um 40-70 Prozent.

  • Zersiedelung und Versiegelung
    Die Zersiedelung der Landschaft und Versiegelung des Bodens ist ein Umweltproblem, welches durch den Tourismus miterzeugt wird, ihn aber gleichzeitig belastet. Ferienzentren und -dörfer, noch bis Ende der siebziger Jahre auch in Baden-Württemberg geplant und gebaut, liegen in reizvollen Landschaften und tragen zu deren Zersiedelung bei. Gleichzeitig wird Boden versiegelt, Fläche verbraucht, werden Lebensräume zerschnitten. Bei einer Ferienwohnung wird durchschnittlich mit 70 m² Flächenverbrauch pro Bett gerechnet, bei einem Hotelbett mit 40 m². Die Einzelwerte schwanken sehr. Besonders im Alpenraum ist das Problem der Zersiedelung und Versiegelung erheblich. Dort ist die Grenze der Besiedlung in vielen Tälern schon deutlich überschritten, wie der schneereiche Winter 98/99 mit seinen zahlreichen Lawinen gezeigt hat. Die steigende Anzahl von Lawinenabgängen sind nur die deutlichen Signale für die zerstörerische Wirkung der Zersiedelung. Die Zerstörung und Zerschneidung kleinräumiger Biotope ist schleichend, aber in der Gesamtwirkung ebenso katastrophal.

  • Energie, Wasser, Müll
    Touristen verbrauchen Energie und Wasser, erzeugen Abwasser und Müll. Natürlich geschieht dies auch zuhause, aber in den Urlaubsgebieten sind je nach Unterbringung große Schwankungen zu beobachten. So liegt der durchschnittliche Wasserverbrauch in der BRD bei 130 Liter/Tag und Person, in der Gastronomie schwankt er zwischen 70 und 600 Liter. Die Höchstwerte werden von Luxushotels am Mittelmeer erreicht. In Center-Parks liegen die Werte bei 200 bis 530 Liter (Strasdas 1992). Der Wassernotstand auf der spanischen Touristeninsel Mallorca im Sommer 2000 ist ein deutliches Zeichen für die rücksichtslose Ausbeutung der natürlichen Ressourcen auch in europäischen Urlaubsregionen.
    Der Energieverbrauch schwankt zwischen 6,8 und 36,7 Kilowattstunden (kWh) pro Übernachtung, bundesdeutscher Durchschnitt sind 18 kWh. Die entsprechenden Werte beim Abfall sind 0,9 - 5 kg und 1kg. Problematisch ist die saisonale Schwankung der Mengen. Alle Infrastruktureinrichtungen (Kläranlage, Müllverbrennung, E-Werk) müssen darauf ausgerichtet sein. Im Energieversorgungsbereich können diese Schwankungen durch einen Verbund ausgeglichen werden (mit der landschafts- und naturschädigenden Wirkung der Freilandleitungen), aber bei der Entsorgung stellen sich Probleme ein. Besonders Kläranlage reagieren auf saisonale Schwankungen empfindlich mit ihren Reinigungsleistungen. Ein weiteres Problem ist die Abwasserentsorgung von einzelstehenden Häusern und Hütten. Trotz der zum Teil erheblichen Anstrengungen der Eigentümer sind viele Häuser noch nicht an eine öffentliche Kläranlage angeschlossen. Die Abwässer werden dort mit individuellen Lösungen und entsprechend unterschiedlichen Ergebnissen geklärt. Örtliche Eutrophierungen sind nicht selten zu beobachten.

  • Umweltbelastende Sportarten
    Leider sind durch den Tourismus und die Naherholung auch Naturbeeinträchtigungen durch das direkte Handeln der Touristen und Erholungsuchenden zu beobachten. Die sportlichen Betätigungen einschließlich des Wanderns sind die größten Konfliktverursacher. Bekannte Beispiele in Baden-Württemberg sind Kletteraktivitäten im Donautal und das "Bootlefahren" auf der Jagst und anderen Flüssen.
    Die Konflikte Natur - Sport resultieren im wesentlichen aus einer örtlichen Überbelastung der Natur. Nur in wenigen Fällen ist die Nutzungsform Sport schon an sich naturschädlich. Beispiel: Ein Skifahrer am Fellhorn wäre überhaupt kein Problem, zigtausende, mit allen Aufstiegshilfen, sind jedoch ein Problem. Und es sind Millionen, die im Urlaub Sport betreiben. Zusätzlich muss, besonders für den Skisport, eine aufwendige Infrastruktur aufgebaut werden. Beschneiungsanlagen benötigen für 1 m² Kunstschnee (30 cm) 100 Liter Wasser (Naturfreunde Österreich 1989). Dieser hohe Wasserverbrauch ist deshalb als besonders kritisch anzusehen, da er mit dem jahreszeitlichen Niedrigwasser zusammenfällt. Bis zu 2,2 kWh Energie wird für diesen Quadratmeter Schnee benötigt. Das entspricht dem Energieverbrauch einer vierköpfigen Familie in zehn Tagen. Die Verunreinigung des Schnees und des Schmelzwassers durch Pistenpräparierung, Skiwachs, Sonnenöl und Abfälle ist besonders bei Gletschern ein deutliches Problem. Die Zerstörung des Bergwaldes und der Humusdecke durch den Skipistenbau und den Skisport und die folgende höhere Erosion und geringere Wasserspeicherfähigkeit ist bekannt und im Sommer auch deutlich sichtbar. Besonders über der Baumgrenze sind selbst kleinste Verletzungen der Grasnarbe problematisch, da durch die kurze Vegetationsphase und das sehr langsame Pflanzenwachstum Lücken in der Narbe - wenn überhaupt - nur in sehr langen Zeiträumen geschlossen werden.
    Neuerdings ist aber nicht nur der Skisport für diese Zerstörung der Pflanzendecke verantwortlich, sondern auch Trendsportarten wie Mountainbiking, Paragliding etc. Und selbst manche Wanderer legen in Wegabschneidern ihre deutlich sichtbare Spur, die sich von Jahr zu Jahr verbreitert und vertieft.
    Ein Beispiel für eine Belastung der Natur durch einzelne Handlungen von Touristen sind Belastungen in empfindlichsten Moorstandorten. Hier reichen oftmals schon wenige Besucher, um Nährstoffe einzutragen und dadurch negative Veränderungen zu bewirken.


Allgemeine Leitlinien für eine Nachhaltigkeitsstrategie im Bereich des weltweiten Tourismus
Der Landesnaturschutzverband Baden-Württemberg e.V. (LNV) fordert zusammen mit der AG NaturFreunde in Baden-Württemberg einen sanften Tourismus, der eine umwelt- und sozialverträgliche Alternative zu den derzeit im Massentourismus bevorzugten Reiseformen ist. Er soll die Vernetzung des Tourismus mit allen anderen Wirtschafts- und Lebensbereiche im Rahmen einer eigenständigen Regionalentwicklung fördern. Die Herkunftsregionen der Reisenden tragen eine Mitverantwortung für die Tourismusregionen. Tourismus ist nachhaltig, wenn er den Bedürfnissen der heutigen Generation gerecht wird, ohne die Möglichkeiten der zukünftigen Generationen zu gefährden.

Nachhaltigkeitsstrategien für einen dauerhaft umweltgerechten Tourismus müssen auf jeweils regionale Gegebenheiten bzw. besondere Bedingungen abgestimmt werden. Für Entscheidungen von Politik, Verwaltung oder privaten Investoren werden jedoch klare Kriterien in Form von Mindestanforderungen benötigt, die global gültig sind. Nur über faire und gleiche Rahmenbedingungen kann ein mögliches Umwelt- und Sozialdumping vermieden werden.

Anhand dieser Kriterien sollten auch Reiseveranstalter und Reisevermittler die von ihnen angebotenen Reisen prüfen und die wichtigsten Aspekte in ihren Reiseprospekten darstellen, damit sie auch dem Konsumenten als Richtschnur für die Auswahl seiner Urlaubsreise dienen können. Kommunen, Betreiber von Naherholungseinrichtungen und Veranstalter von Freizeitangeboten sollten die Kriterien ebenso einhalten und mit ihnen werben.
Nur gezielte Information der Reisewilligen und Erholungssuchenden kann diese von der Notwendigkeit der Einhaltung der Leitlinien überzeugen. Und nur wenn diese ihre Überzeugung in Handlung umsetzen und gezielt entsprechende Urlaubs- und Freizeitangebote wählen, kann genügend Druck auf die Verantwortlichen ausgeübt werden, um eine Beachtung der Leitlinien auf Dauer zu erreichen.
  • Einhaltung aller für die jeweiligen Projekte und Maßnahmen gültigen gesetzlichen Auflagen. Strategische Umwelt-, Raum- und Sozialverträglichkeitsprüfungen für Tourismusprojekte (mehr als 100 Betten oder mehr als 1000 Tagesbesucher) sowie für verbindlich vorzuschreibende touristische Entwicklungspläne, bei welchen insbesondere die ökologische Tragfähigkeit der Region, die Belastung der Bevölkerung mit Lärm, Verkehr, Abgasen oder die Auswirkungen auf die regionale Wirtschaft festgestellt und überprüft werden müssen. Keine Projekte und Maßnahmen, welche die Wasserversorgung der Region gefährden, keine verkehrsintensiven Projekte in bisherigen Ruhezonen. Keine Projekte und Maßnahmen, welche die lokale Verkehrsinfrastruktur bez. die Infrastruktur zur Entsorgung (Abwasser, Müll etc.) überlasten bzw. Abwasser ungeklärt in die Natur ableiten oder Müll unkontrolliert deponieren. Keine Tourismusprojekte in Regionen, die schon überwiegend vom Tourismus abhängig sind. Keine Förderung von Großprojekten. Keine Projekte, die sämtliche Tourismusleistungen wie Unterbringung, Restauration, Unterhaltung und Freizeiteinrichtung in einem Haus/Areal anbieten und keine Beziehung zur lokalen Wirtschaft, Kultur haben. Beitrag zur Erhaltung der Natur- und Kulturlandschaft, keine Beeinträchtigung oder Zerstörung schutzwürdiger Biotope sowie bestehender Schutzgebiete. Strikte Einhaltung der Naturschutzbestimmungen. Die Kontrolle über die Nutzung der touristischen Infrastruktur muss bei den Gastgebern liegen. Eine angemessene Entgeltung für Leistungen und Ressourcen muss verträglich sichergestellt werden. Außerhalb von Naherholungszonen Bevorzugung von Projekten, welche Dauergäste in die Region bringen, dort keine Förderung für Projekte, die nur Tagesbesucher anziehen. Maßnahmen zur Minimierung des (Gesamt-)Verbrauchs von Wasser, Energie und anderen Ressourcen einer Fremdenverkehrsregion; Nutzung umweltverträglicher Technologien zur Wasser- und Energieeinsparung. Einsatz regenerativer Energien und Reduktion der Nutzung nicht erneuerbarer Energien gemäß den jeweiligen lokalen Bedingungen. Zum Schutz der lokalen ökonomischen, sozialen, kulturellen und ökologischen Interessen müssen bei weitreichenden Entscheidungen (z.B. Infrastrukturmaßnahmen oder Großprojekten) alle davon betroffenen lokalen Gebietskörperschaften, Sozialpartner und Verbände des zivilen Sektors (NGOs) rechtzeitig eingebunden werden. Entsprechende Kooperations- und Partizipationsstrukturen müssen geschaffen und nachgewiesen werden. Förderung der lokalen Besonderheiten und Stärken der Region durch das Tourismusprojekt (sowohl im Inhalt des Angebots als auch bei der Nutzung von Mitteln). Förderung der Integration lokaler Klein- und Mittelbetriebe (KMU) und deren Angebote in Tourismusprojekte (z.B. lokale Landwirtschaft, Handwerk, Gewerbe, private Gästehäuser) beziehungsweise Einbindung lokaler Investoren, Einbindung lokaler Anbieter bei der Errichtung bzw. beim laufenden Betrieb (z.B. Versorgung mit lokalen Produkten) des Projekts. Nutzung vorhandener Bausubstanz (z.B. leerstehende Gebäude), Verwendung lokaler Baumaterialien und Baustile. Schaffung von Arbeitsplätzen für die lokale Bevölkerung und Angebot von Ausbildungsgängen für qualifizierte Positionen im Bereich der in Frage stehenden Tourismusprojekte, insbesondere für Frauen und benachteiligte Gruppen, Minderheiten, Einrichtung von geeigneten Arbeitszeitmodellen für Frauen oder Nebenerwerbslandwirte. Sicherung des Zugangs zu Tourismuseinrichtungen auch für die einheimische Bevölkerung.
  • Vorsorge für Rückbau bzw. Umbau des Projektes bei schwindender Attraktivität.


Forderungskatalog zur Verwirklichung eines nachhaltigen Tourismus in Deutschland
Soll im Tourismus der Gedanke der Nachhaltigkeit verwirklicht werden, muss ein Umdenken bei allen Beteiligten eingeleitet werden. Um die Weichen zu stellen, müssen von der Politik, aber auch von Veranstaltern, Verkehrsunternehmen und Konsumenten Maßnahmen ergriffen werden, die diesen Umdenkungsprozess vorantreiben, begleiten und dokumentieren.

Bereich Verkehr
Reiseströme müssen durch geeignete Maßnahmen entzerrt werden. Dies gilt sowohl räumlich als auch zeitlich:
  • Förderung des Schienenverkehrs durch dichtere Angebote, auch bei den Autoreisezügen. Das Angebot der umsteigefreien Verbindungen darf nicht auf Kosten der Schnelligkeit weiter ausgedünnt werden. Neben dem Netz der IC/EC/ICE-Verbindungen muss ein weiteres, in die Fläche reichendes Netz umsteigefreier Verbindungen zwischen den Tourismusregionen und den Ballungsgebieten bestehen. Die Straßenverbindungen sind in diesen Fällen entsprechend zu entschleunigen. Förderung des Schienenverkehrs durch günstigere, zum Auto preislich konkurrenzfähige Angebote Günstige und leicht handhabbare Angebote zum Gepäcktransport. Das Ziel ist ein zeitgleicher Transport von Gepäck und Reisenden. Das heute von der Bahn angebotene System des Gepäcktransportes ist zu teuer und zeitintensiv. Allgemein muss der Service für Bahnreisende gesteigert werden. Spielecken für Kinder in den Zügen, Gepäckträgerservice auch an kleinen Stationen, Mitnahme von Fahrrad sind nur Beispiele. Nur die vorhersehbare Sicherung der örtliche Mobilität in der Ferienregion erlaubt den Verzicht auf das private Auto. Entsprechende Fahrpläne und Informationen sind mit der Zimmerbuchung zu vermitteln. Dazu gehört auch ein umfassendes Angebot für Radfahrer. Ein nachhaltiges Gesamtverkehrskonzept erleichtert diese Aufgabe. Entzerrung der Ferientermine
  • Verteuerung des Flugverkehrs durch eine umweltgerechte Besteuerung.

Bereich Naturschutz
  • Besucherlenkung ist ein geeignetes Instrument, um Naturschutz und Tourismus positiv zu verbinden. Eine Ausweisung von besonders empfindlichen Gebieten als Tabu-Zonen für alle touristischen Aktivitäten erhält der Natur kleine Rückzugsinseln. Insgesamt kann nur eine erhebliche Steigerung der Schutzgebietsflächen und deren Vernetzung den Artenerhalt langfristig sicherstellen.
  • Ein räumliches oder zeitliches Verbot oder die zahlenmäßige Beschränkung von umweltbelastenden Sportarten darf kein Tabu darstellen. Es ist mit den geeigneten Information darzustellen, um eine Akzeptanz zu erreichen.

Bereich Planung und Förderung
  • Regionale Tourismuskonzepte sind zu entwickeln. Dabei ist auf der Erhalt und den Aufbau regionaler, ländlicher und landwirtschaftlicher Wertschöpfungsketten zu achten. Die Erarbeitung von Umweltkonzepten zum Erhalt von Klima, Landschaft und Natur muss der Erstellung eines Tourismuskonzeptes vorangehen. Wirtschaftsförderung ist nur für nachhaltige Konzepte durchzuführen. Entsprechende Richtlinien sind zu erlassen bzw. umzusetzen. Finanzielle Umlagen aus dem Tourismus zur Erhaltung von Natur und Landschaft (Naturtaxe) sind ein geeignetes Steuerungsinstrument. Auf neue Sportarten muss frühzeitig reagiert werden. Nach einer UVP müssen die entsprechenden regionalen Rahmenbedingungen für den Sport insgesamt fixiert werden. Diese gehen vom Verbot bis zur Förderung. Großveranstaltungen wie Theateraufführungen und Popkonzerte haben auf Berggipfeln und an Seeufern nichts verloren. Die Möglichkeiten der Bauleitplanung zur Unterstützung der regionaltypischen Baustile und heimischer Baustoffe muss konsequent genutzt werden. Auch moderne Bauten sollten sich in den regionalen Stil einpassen. Eine "Verseppelung" der Dörfer verhindert die positive Bindung des Touristen an die Ferienregion. Er erlebt Ferien als Aufenthalt in einer austauschbaren Kulisse.
  • Die Flächenplanung muss verstärkt Erholungsgebiete ausweisen.

Gastgeber und Beherbergungsbetriebe
  • Einheimische sind im Tourismus vorrangig zu beschäftigen. Entlohnung und Arbeitszeit sind in allen Berufen entsprechend vorhandener Tarifverträge oder ortsüblicher Standards zu regeln. Kinder werden nicht beschäftigt. Um eine regionale Wertschöpfung sicherzustellen, sind bei Baumaßnahmen etc. regionale Betriebe zu beschäftigen. Qualifikation und Weiterbildung von Arbeitskräften im Tourismus sind durch langfristige und an der Nachhaltigkeit orientierte Programme zu fördern.
  • Ökoaudits für alle touristischen Betriebe

Die Aufzählung der Maßnahmen kann nur unvollständig sein. Maßnahmen zur Förderung eines nachhaltigen Tourismus müssen immer am Einzelfall orientiert sein. Sie sind in enger Zusammenarbeit mit allen Betroffenen (Gastgeber, Bewohner, Gäste, ...) zu entwickeln. Eine ständige Überprüfung der Maßnahmen im Gesamtkonzept ist die Aufgabe eines verantwortlichen Tourismusmanagements.

Quellen:
  • Mega-Trends im Tourismus - Von Umwelt keine Spur; Geographisches Institut der Georg-August-Universität Göttingen; im Auftrag des Alpenforschungsinstituts, August 1999 Positionspapier der Naturfreunde Internationale über die Rolle des Tourismus im Kontext einer Nachhaltigen Entwicklung; Wien Dezember 1998
  • Entwicklung und Folgen des Tourismus, Büro für Technikfolgen-Abschätzung beim Deutschen Bundestag, Arbeitsbericht Nr. 52, Oktober 1997


Stuttgart, den 15.03.2001 gez. I. Frühauf

 


Archiv:

Weiter zurückliegende Infobriefe finden Sie hier

Design und Programmierung:
Katrin Bächle Webdesign

Landesnaturschutzverband Baden-Württemberg e.V
|
Olgastr.19
|
70182 Stuttgart
|
Tel.0711/ 24 89 55 20
|
Fax 0711/ 24 89 55 30
|
info [at] lnv-bw.de