|
|
INFO 6/2001
Hochwasserschutz und Hochwasserrückhaltebecken
- Forderungen an einen zeitgemäßen Hochwasserschutz
Zeitgemäßer Hochwasserschutz setzt sich zusammen aus vorbeugenden Maßnahmen im gesamten Gewässereinzugsgebiet und defensiven, technischen Maßnahmen, die in der Regel am Gewässer selbst oder in der Aue ansetzen. Der vorbeugende Hochwasserschutz wird auch als ökologischer Hochwasserschutz bezeichnet, weil die zugehörigen Maßnahmen zur Erhaltung oder Verbesserung der ökologischen Situation von Gewässern und ihren Auen führen.
Aus Sicht des Naturschutzes müssen vorrangig Maßnahmen des vorbeugenden Hochwasserschutzes umgesetzt werden. Dennoch haben technische Hochwasserrückhaltemaßnahmen ihre Berechtigung, weil extreme Hochwasserereignisse auch durch vorbeugende Maßnahmen nicht verhindert werden können. Hochwasserschutzkonzeptionen auf der Basis von Flussgebietsuntersuchungen müssen flächendeckend erarbeitet werden. Im Rahmen solcher Gesamtkonzeptionen sind Maßnahmen des technischen Hochwasserschutzes so natur- und umweltverträglich wie möglich durchzuführen. Entscheidend für die Qualität eines Konzeptes ist die Lösung der Standortfrage für geplante Hochwasserrückhaltebecken unter Minimierung der Eingriffe in Natur und Landschaft.
Grundsätzlich müssen nach Meinung des LNV alle Maßnahmen auch unter dem Gesichtspunkt betrachtet werden, dass es einen vollkommenen Hochwasserschutz nicht geben kann und dass niemand ein Recht auf einen totalen Hochwasserschutz hat. Daraus ergibt sich zum einen, dass es auch nach Hochwasserschutzmaßnahmen noch Überschwemmungsgebiete geben muss und zum anderen, dass sich Anlieger von Gewässern bis zu einem gewissen Grad mit dem Naturereignis Hochwasser arrangieren müssen.
Dem Thema Hochwasserrückhaltebecken widmen wir hier den größten Raum (Punkte 3 und 4), weil z. Z. an vielen Gewässern derartige Anlagen geplant und gebaut werden. Als Hilfe für Stellungnahmen in den entsprechenden Planungsverfahren und die Diskussion vor Ort haben wir einige wichtige Argumente und Informationen zusammengestellt.
Wir danken unserem Gewässerreferenten Herrn Schloz und Herrn May-Stürmer vom BUND, dass sie uns beraten haben und ihre Arbeiten zum Thema zur Verfügung gestellt haben.
- Elemente des Hochwasserschutzes
- Vorbeugender, ökologischer Hochwasserschutz
- am Gewässer und in der Aue durch ...
- Erhalt naturnaher bzw. naturnaher Rückbau von naturfernen Fließgewässern und ihren Auen. Erhalt und Rückgewinnung natürlicher Rückhalteflächen.
- Ausweisung von Überschwemmungsgebieten (auch an kleineren Flüssen und Bächen!) und deren Beachtung in der Bauleitplanung - konsequentes Freihalten von Bebauung und Versiegelung (auch Straßen) / Rückbau und Entsiegelung wo immer möglich
- Umwandlung von Ackerland in Grünland in Flusstälern und Überschwemmungsgebieten, Verbot des Grünlandumbruches
- Entfernung von Drainagen
- im gesamten Gewässereinzugsgebiet durch ...
- abflussmindernde Landbewirtschaftung (z. B. Begrünung im Winterhalbjahr, hangparallele Bewirtschaftungsrichtung, Unterbrechung des Wasserabflusses durch hangparallele Strukturen wie Hecken, Gras-/Krautstreifen, kürzere Schlaglängen an Hängen usw.)
- Entsiegelungsmaßnahmen (Stellflächen, landwirtschaftliche Wege, nicht mehr genutzte versiegelte Grundstücke usw.)
- dezentrale Regenwasserversickerung bzw. Regenrückhaltung (Mulden und Rigolen / Dachbegrünung usw.) besonders als Ausgleichsmaßnahme für Bebauung und Versiegelung
- Anlage von Zisternen usw.
- Defensiver Hochwasserschutz
- Objektschutz in einzelnen Fällen
- Deiche/Dämme
- Hochwasserrückhaltebecken als Sicherheit für extreme Hochwasserereignisse; für Fluss-/Bacheinzugsgebiete oder Abschnitte davon muss jeweils ein Hochwasserschutzkonzept aufgrund einer Flussgebietsuntersuchung erstellt werden
- Dezentraler Hochwasserschutz (Nutzung von Geländemulden, Flutmulden, Straßendämmen usw.)
- Forderungen von Seiten des Naturschutzes an die Planung und Errichtung von Hochwasserrückhaltebecken
- Erhalt von naturnahen und unverbauten Bach- und Flussabschnitten
Mit Blick auf die allgemeine Gewässersituation, die Forderungen nach Nachhaltigkeit und die gesetzlichen Fortentwicklungen hin zu mehr Ökologie und naturnaher Gewässerentwicklung darf es keine weitere Beeinträchtigung von naturnahen und unverbauten Bach- und Flussabschnitten durch den Bau von Hochwasserrückhaltebecken geben. Außerdem ist zu bedenken, dass Eingriffe in naturnahe Gewässerabschnitte niemals vollständig ausgleichbar sind.
Mit dem Bau eines Hochwasserrückhaltebeckens in einem unverbauten, naturnahen Gewässerabschnitt sind neben den Auswirkungen nach Punkt 3.2 immer folgende Eingriffe verbunden:
- Über die Breite des Staudammes wird das natürliche und naturnahe Gewässerbett zerstört und durch ein künstliches, technisch geprägtes Gerinne ersetzt.
- Auf die Breite des Staudammes werden nach § 24a NatSchG besonders geschützte Biotope beseitigt.
Diese Eingriffe haben erheblich nachteilige Auswirkungen auf Natur- und Landschaft und erfordern einen gleichartigen und funktionalen Ausgleich oder Ersatz.
- Planung mittels Planfeststellungsverfahren mit Umweltverträglichkeitsprüfung (UVP)
Auch in ganz oder teilweise verbauten oder naturfernen Abschnitten von Fließgewässern hat der Bau von Hochwasserrückhaltebecken nachteilige Auswirkungen auf Natur und Landschaft. Dies gilt für naturnahe oder unverbaute Gewässer noch weit mehr.
Die wichtigsten Auswirkungen sind:
- Flächenverbrauch und Flächenzerschneidung
- Verbauung von Talauen mit landschaftsfremden Elementen, Barrierewirkung mit Beseitigung der Offenheit und des freien Ein- und Durchblicks in die Talaue und den Gewässerlauf, Zerstörung der Gewässerstruktur
- Bei Einstau des Beckens werden vor allem zahlreiche Tierarten vernichtet, unter Umständen aber auch § 24 a-Biotope
- Eingriffe in den (Grund-)Wasserhaushalt
Die wichtigsten rechtlichen Grundlagen für die Planung von Deich- und Dammbauten und damit für Hochwasserrückhaltebecken sind:
- Nach § 31 Abs. 2 WHG ist für Gewässerausbauten sowie Deich- und Dammbauten ein Planfeststellungsverfahren erforderlich, das den Anforderungen des Gesetzes über die Umweltverträglichkeitsprüfung entspricht.
- Nach § 31 Abs. 3 Ziff.2 WHG kann ein Dammbau ohne vorherige Durchführung eines Planfeststellungsverfahrens genehmigt werden, wenn das Vorhaben keine erheblichen nachteiligen Auswirkungen auf eines der in § 2 Abs. 1 Satz 1 des Gesetzes über die UVP genannten Schutzgüter haben kann. Bei den Schutzgütern handelt es sich um Menschen, Tiere, Pflanzen, Boden, Wasser, Luft, Klima und Landschaft sowie Kultur- und Sachgüter.
- Nach § 24a NatSchG sind u.a. Ufergehölze, Feldgehölze und naturnahe unverbaute Bach- und Flussabschnitte besonders geschützt. Alle Handlungen, die zu einer Zerstörung oder erheblichen oder nachteiligen Beeinträchtigung dieser Biotoptypen führen können, sind untersagt. Dies gilt erst recht für weitergehende Verbote in durch Rechtsverordnungen und Satzungen besonders geschützten Gebieten wie z.B. in LSG und NSG.
- Ausnahmen von dem Verbot des § 24a NatSchG können nur zugelassen werden, wenn überwiegende Gründe des Gemeinwohls dies erfordern oder keine erheblichen oder nachhaltigen Beeinträchtigungen des Biotops und der Lebensstätten gefährdeter Tier- und Pflanzenarten zu erwarten sind oder durch Ausgleichsmaßnahmen ein gleichartiger Biotop geschaffen wird.
- Das Verschlechterungsverbot der EU-Wasserrahmenrichtlinie (Art. 1 und 4 WRRL, gültig spätestens ab dem 22.12.2003) lässt praktisch nachteilige Eingriffe in die Gewässerstruktur nicht mehr zu.
Aus all dem ist der Schluss zu ziehen, dass die Durchführung von Planfeststellungsverfahren mit Umweltverträglichkeitsprüfung beim Bau von Staudämmen und Hochwasserrückhaltebecken, von wenigen Ausnahmen abgesehen, aufgrund der Rechtslage unumgänglich ist. Dem Verschlechterungsverbot der WRRL ist Rechnung zu tragen.
- Renaturierung als Ausgleich/Ersatz
Es muss im Verfahren sichergestellt werden, dass unvermeidliche Eingriffe vollständig - so weit das überhaupt möglich ist - ausgeglichen werden. Ausgleichs- und Ersatzmaßnahmen müssen einen funktionalen Ausgleich erbringen. Dies ist bei Eingriffen in unverbaute naturnahe Gewässer nur möglich durch Renaturierungsmaßnahmen an anderer Stelle des gleichen Gewässers.
Werden solche Maßnahmen an der richtigen Stelle und gleichzeitig mit der Planung des Hochwasserrückhaltebeckens geplant, könnte dies unter Umständen sogar Auswirkungen auf dessen Dimensionierung haben. Eine Verbesserung des vorsorgenden Hochwasserschutzes durch Ausgleichsmaßnahmen könnte somit den Eingriff selbst verringern und Kosten sparen. Das kann natürlich nur funktionieren, wenn Ausgleichsmaßnahmen und Maßnahmen zum vorbeugenden Hochwasserschutz von Anfang an in die Planung einbezogen werden und nicht - wie derzeit leider meistens üblich - ein Eingriff geplant wird und erst zum Schluss noch angefügt wird, welche Ausgleichs- und /oder Ersatzmaßnahmen zu leisten sind.
- Ökologische Baubegeleitung
Mit der Errichtung eines Hochwasserrückhaltebeckens sind unvermeidlich Eingriffe, Zerstörungen und Störungen verbunden, selbst wenn die Anlage an einem bereits naturfernen Gewässerabschnitt gebaut wird. Daher sollte im Planfeststellungsbeschluss immer eine ökologische Baubegleitung festgesetzt werden.
Mögliche Leistungen der ökologischen Baubegleitung
(gekürzt nach BUSKE und RAABE):
- Erarbeitung von Vorgaben zur ökologischen Bauausführung (z.B. Gewährleistung einer fachgerechten Oberbodenbehandlung)
- Gewährleistung der Einarbeitung relevanter Naturschutzauflagen in die Ausführungsplanung
- Aufklärung der am Bau Beschäftigten und der Bauleitung über Sinn und Zweck von Naturschutzauflagen
- Kennzeichnung von "Tabuzonen" im Baustellenbereich
- Kontrolle der Einhaltung und Umsetzung von Vermeidungs-, Minderungs- und Ausgleichsmaßnahmen
- Prüfung einer weiteren Reduzierung von Eingriffen
- Prüfung bei Erweiterung des Eingriffsumfangs
- Kontrolle der ordnungsgemäßen Rekultivierung von Baustelleneinrichtungen und Baustraßen
- Dokumentation des Bauablaufs.
- Hinweise für naturschutzfachliche Stellungnahmen zu Hochwasserrückhaltebecken
(in Stichworten):
- Prüfen, ob ein Planfeststellungsverfahren mit UVP durchgeführt wird. Wenn nicht, Begründung dafür erfragen. Bei offensichtlich zu erwartenden schwerwiegenden Eingriffen in Schutzgüter nach UVP-Recht, Planfeststellungsverfahren einfordern.
- Wurde eine Null-Variante im Planfeststellungsverfahren geprüft? Andernfalls einfordern!
- Eine Nutzen-Kosten-Analyse einfordern und prüfen, ob der erforderlichen Kosten in einem vertretbaren Verhältnis zu den möglichen Hochwasserschäden stehen. Kein Bau von "psychologischen" Rückhaltebecken, die immense Kosten verursachen, tatsächlich aber nur der Beruhigung der An- bzw. Unterlieger dienen.
- Prüfen, ob eine Hochwasserschutzkonzeption nach einer Flussgebietsuntersuchung (wie unter Punkt 1 dargestellt) für das betreffende Gewässereinzugsgebiet vorliegt. Wenn nicht, eine solche einfordern. Ohne diese kann die Notwendigkeit einzelner Anlagen in Frage gestellt werden.
- Die technische Anlage des Vorhabens kritisch hinterfragen: sind alle denkbaren Minimierungsmaßnahmen berücksichtigt, z. B. ist die Anlage des Dammes in
- überströmbarer Ausführung ohne Freibord möglich, ist das Durchlassbauwerk tatsächlich ökologisch durchlässig?
- Prüfen, ob das Verschlechterungsverbot nach Artikel 1 und 4 der EU-Wasserrahmenrichtlinie (gültig spätestens ab dem 22.12.2003) beachtet wird. Naturschutzverbände sollten dies auch schon vor dem Stichtag einfordern!
- Sind besonders sensible Naturbereiche von dem geplanten Vorhaben betroffen? Wenn ja, wurden Alternativstandorte geprüft?
- Wenn Schutzgebiete von dem Vorhaben betroffen sind (NSG, LSG, Natura 2000-Gebiete), gegebenenfalls FFH-Verträglichkeitsprüfung, Befreiungen von LSG- bzw. NSG-Verordnungen, Ausnahmegenehmigungen nach § 24a einfordern.
- Kritische Hinterfragung des "Gemeinwohls". Auch die Erhaltung natürlicher oder naturnaher Gewässer liegt im Interesse und dient dem Wohl der Allgemeinheit.
- Ökologische Baubegleitung einfordern.
- Ausgleichs- und/oder Ersatzmaßnahmen auf ihre zu erwartende ökologische Wirkung prüfen (kann man von einem funktionellen Ausgleich sprechen?).
- Abnahmetermin für die Ausführung der Ausgleichs- und Ersatzmaßnahmen einfordern.
- Fordern, dass trotz Hochwasserrückhaltebecken Überschwemmungsgebiete ausgewiesen werden.
Quellen:
- BUSKE und RAABE: Ökologische Baubegleitung. Möglichkeiten und Grenzen bei der Realisierung von Straßenbauprojekten. In: Naturschutz und Landschaftsplanung 31, (12), 1999, S. 367 - 371)
- LNV-ARBEITSKREIS HEILBRONN und SCHLOZ, G.: Position des LNV-AK Heilbronn - Hochwasserrückhaltebecken
- MAY-SÜRMER, G.: BUND- Stellungnahme zur Hochwasserschutzkonzeption Neuenstädter Brettach vom 14.07.2000
- MAY-SÜRMER, G.:Hochwasserschutz - eine Position des BUND. Zusammenfassung eines Referats vom 08.05.2001
- SCHLOZ, G.: Anmerkungen zu den Konsequenzen der Europäischen Wasserrahmenrichtlinie für den Natur- und Landschaftsschutz
- SCHLOZ, G.: Hochwasserschutz im Spannungsfeld zwischen Mensch und Natur
Stuttgart, den 19.06.2001 gez. LNV-Ak Heilbronn, G. Schloz, I. Frühauf
|
|
|
|
Archiv:
Weiter zurückliegende Infobriefe finden Sie hier
|
|