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INFO 8/2001

Querungshilfen über Verkehrswege:
Auswege für wandernde Tierarten

Überlinger Erklärung vom 21. März 2001

Die Zerschneidung unserer Landschaft ist nach den Aussagen der Akademie für Technikfolgenabschätzung Baden-Württemberg ein größeres Problem für den Erhalt unserer Artenvielfalt als der Landschaftsverbrauch.

Der Landesnaturschutzverband Baden-Württemberg e. V. (LNV) begrüßt daher die Initiative von Landesjagdverband Baden-Württemberg e. V. und Akademie für Natur- und Umweltschutz Baden-Württemberg, das Thema aufzugreifen und die Ergebnisse der Tagung am 21. März 2001 in Überlingen als gemeinsame Erklärung zu veröffent-lichen.

Diese Überlinger Erklärung von wird vom LNV vollinhaltlich unterstützt und mitge-tragen.
Stuttgart, den 23.07. 01 gez. Anke Trube

empfehlenswerte Literatur zum Thema :
  • Jaeger J (2001): Beschränkung der Landschaftszerschneidung durch die Einführung von Grenz- oder Richtwerten. Natur und Landschaft 76:26-34 Jaeger J, Esswein H, Scharz-von Raumer H-G, Müller M (eingereicht): Landschaftszerschneidung in Baden-Württemberg. Naturschutz und Landschaftsplanung (voraussichtlich Oktober 2001) Krüger U (2000): Die großräumige und systematische Aufhebung von Lebensraumzerschneidungen - eine realistische Forderung des Naturschutzes? Natur und Landschaft 75:417-425.
  • Renn O, León C D, Clar G (2000): Nachhaltige Entwicklung in Baden-Württemberg. Statusbericht 2000, Langfassung 173/2000) der Akademie für Technikfolgenabschätzung Baden-Württemberg, hier die Seiten 37-43, 86-89 und Kurzbericht S. 42/43.



Landesjagdverband Baden-Württemberg e. V.
Akademie für Natur- und UmweltschutzBaden-Württemberg

Querungshilfen über Verkehrswege:
Auswege für wandernde Tierarten

berlinger Erklärung vom 21. März 2001

Über 100 Vertreter aus dem Bereich des Straßenbaus-, der Bahn, des Jagdwesens, des Forstes, der Wildbiologie und des Naturschutzes aus Deutschland, der Schweiz und Österreich trafen sich am 21. März 2001 in Überlingen (Bodensee) zur 2. Akademie-Kongresstagung über Grünbrücken. Bei diesem 6. baden-württembergischen Biotopschutzkongress, der gemeinsam von der Akademie für Natur- und Umweltschutz Baden-Württemberg (Umweltakademie), dem Landesjagdverband Baden-Württemberg e. V. und der Wildforschungsstelle des Landes Baden-Württemberg veranstaltet wurde, ergaben sich folgende Tagungsergebnisse.

 

Situation bei der Zerschneidung der Landschaft

Das für die Mobilitätsbedürfnisse der Menschen geschaffene Straßen- und Bahnnetz hat zu bisher nie dagewesenen Beeinträchtigungen für die Landschaft geführt. Die Zahl der großräumig unzerschnittenen Räume (=/> 100 km2; Quelle: Bundesamt für Naturschutz) ist bundesweit von 349 im Jahre 1977 auf derzeit 225 zurückgegangen, ihr Anteil verminderte sich von 22,7% auf 14,2%. In Baden-Württemberg ist die Zahl dieser unzerschittenen Räume im Laufe der letzten 15 Jahren von 29 auf nur 6 geschrumpft. Berücksichtigt man noch die Gemeindestraßen, so ist die effektive Maschenweite für ganz Baden-Württemberg auf 13,66 Kilometer gesunken. Die Zerkammerung der Landschaft durch die Verkehrsinfrastruktur hat nach aktuellen wissenschaftlichen Untersuchungen größtenteils zu nur noch 5 km² großen, puzzleartigen Segmentierungen unserer Erholungsräume geführt.



Verkehrssicherheit und Gefährdungspotential

Die hohe Zahl an Wildtierunfällen hat auf Straßen gerade auch nachts zu einer Beeinträchtigung der Verkehrssicherheit geführt, die nicht länger toleriert werden kann. Hinzu kommen die auf Dauer nicht tragbaren Belastungen für die Jägerschaft durch eine Entsorgung von verunfalltem Wild und von ehrenamtlichen Naturschützern, die wegen fehlender straßenbautechnischer Einrichtungen unter besonderem persönlichem Einsatz jährlich Tausende von wandernden Amphibien vor Kollisionen mit Autos bewahren.

Gefährdung der Biologischen Vielfalt

Die große Anzahl an Wildunfällen und Kollisionen mit Kleintieren bedingen erhebliche Verluste sowohl einzelner Tiere als auch eine Gefährdung bedrohter Restpopulationen (z. B. Fischotter, lokale Feldhasenbestände). Die Bahn- und Straßenanlagen - insbesondere die Bundesautobahnen - haben zu einer Trennung von Teillebensräumen und damit zu einer Beeinträchtigung der täglichen Bewegungsaktiviäten von Wildtieren geführt. Die Trennung der Habitate bewirkt zudem eine Störung für die saisonalen Wanderungen von Tierpopulationen. Mit der Isolierung von Teilpopulationen ist eine erhebliche Beeinträchtigung des natürlichen Genflusses und damit der biologischen Vielfalt verbunden. Schließlich behindert die Fragmentierung der Landschaft die Zuwanderung (Wieder-/Neubesiedlung) von Wildtierarten wie Luchs, Wildkatze, Fischotter u.a.


Schadenslage

Die Zahl an Unfällen mit Wildtieren und Fahrzeugen auf Verkehrsanlagen hat infolge der zunehmenden Dichte des Straßen- und Bahnnetzes ein erschreckendes Ausmaß angenommen. Allein in Baden-Württemberg werden seit Jahren rund 15.000 Rehe (11% der Gesamtstrecke) Opfer des Straßenverkehrs, aber auch viele andere Tierarten kommen in großer Zahl bei Verkehrsunfällen um. Die Zahl der leichten bis tödlichen Verletzungen bei Menschen, die Gefährdung von Menschenleben, die Höhe der Sachschäden an Fahrzeugen und nicht zuletzt der Verlust an Wildbret haben ein Ausmaß erreicht, das die Gesellschaft nicht länger dulden kann.

Entwicklungsrückstand

Die Niederlande hat bereits beginnend in den 70er und 80er Jahren ein nationales Entschneidungsprogramm umgesetzt, bei dem auch an bestehenden Straßen umfangreiche Querungshilfen mit einem Aufwand von 7,5 Millionen DM/Brücke eingesetzt wurden. In Österreich hat die Regierung 1988 eine Untersuchung über national bedeutsame Wildtierwandungen von Zeigerarten (Bär, Luchs, Wolf) eingeleitet. Zugleich wurde die wildbiologische Wirksamkeit von vorhandenen Brücken und deren wildtiergerechter Ausbau untersucht. Auch in der Schweiz liegen mittlerweile - vom BUWAL (Bundesamt für Umwelt, Wald und Landschaft) veranlaßt -eine wissenschaftliche Bestandsaufnahme über die Schweiz durchziehende Wild-tierkorridore vor. Die Bundesrepublik Deutschland ist gemessen daran ein Entwicklungsland: Eine bundesweite Vernetzungsstudie fehlt, weil überregionale Wechselbeziehungen größerer Säugetiere bei der Straßenplanung bisher nur in Ausnahmefällen berücksichtigt werden (auch über die FFH-Bestrebungen ist diesbezüglich nichts zu erwarten, weil sie solche ebenso wenig berücksichtigen).

Die Bundesrepublik Deutschland ist weder in internationalen Fachausschüssen wie der European Cooperation in the Field Scientific and Technical Research vertreten noch hat sie die COST-Aktion 341 gezeichnet. In letzterer erarbeitet derzeit das internationale Expertennetzwerk der IENE (Infra Eco Network Europe) einen Report zum Status quo in den Mitgliedsstaaten (nur eben exclusive BRD) und ein European Handbook of Defragmentation. Dieser Rückstand muss alsbald aufgeholt werden.



Öffentliches Bewusstsein

Die ständigen Verluste an Wildtieren bedürfen der öffentlichen Wahrnehmung. Es ist ein allgemeines Bewusstsein für die Notwendigkeit eines durchlässigen Verkehrsnetzes erforderlich. Die Zusammenarbeit von Vertretern des Verkehrs- und Straßenwesens, der Verkehrssicherheit, des Jagdwesens, des Naturschutzes, des Forstes und anderer gesellschaftlicher Bereiche ist erforderlich. In Deutschland benötigen wir eine Kultur der Entschneidung der Landschaft nach niederländischem Vorbild. Im Interesse der Bewahrung unseres Natur- und Kulturerbes gilt es das landschaftliche Potential für Fernwanderungen von Wilditieren und für Möglichkeiten der Wiederbesiedlung von Lebensräumen durch ausgestorbene oder ausgerottete Tierarten zu erhalten.


Migrationsplan für Neu-und Ausbaustrecken

Außer für den Luchs liegen bisher keine bundes- und landesweiten Untersuchungen national, überregional und regional bedeutsamer Wildtierwanderrouten vor. Es ist deshalb eine bundesweite Analyse solcher Migrationskorridore für wichtige Zielarten nach dem Beispiel in Österreich und der Schweiz dringend notwendig. Darauf aufbauend gilt es, ein Gesamtkonzept zur Sicherung einer ausreichenden Durchlässigkeit von Neu -und Ausbaustrecken des bundesdeutschen Verkehrswegenetzes zu entwickeln.


Sanierungsprogramm

Es ist ebenso dringend erforderlich, dass die flächendeckende Durchlässigkeit des bestehenden deutschen Verkehrsnetzes mit Schwerpunkt Bundesautobahnen und Schnellbahntrassen nach dem Vorbild unserer Nachbarländer gewährleistet wird. Damit großräumige Wechsel von Wildtieren bzw. Fernwechsel wieder ermöglicht bzw. erleichtert werden, müssen bestehende Bauwerke auf ihre Durchlässigkeit, wildökologische Bedeutung und Nachrüstbarkeit geprüft und nach Dringlichkeit klassifiziert werden. Die erforderlichen Nachrüstungen sind entsprechend der Prioritätenliste umzusetzen.

 

Gesamtkonzept

Die Berücksichtigung der Durchlässigkeit bei Neu- und Ausbauten von Verkehrswegen und das Sanierungsprogramm sind Bestandteile eines umfassenden wildökologischen Migrationskonzeptes, das auc eine Gewichtung von Maßnahmen nach verschiedenen Kriterien (u.a. wildökologische Bedeutung, Machbarkeit) beeinhaltet.

Finanzbedarf

Querungshilfen reichen von Geschwindigkeitsbeschränkungen, Infrarotsensoren, entsprechenden Pflanzungen bis hin zu 50 bis 100 m breiten Grünbrücken oder auch Untertunnelungen. Ihre Einrichtung ist ein Beitrag zur gesetzlich vorgeschriebenen Eingriffsminimierung nach dem Bundesnaturschutzgesetz. Neben dem gesetzlichen Auftrag besteht zugleich ein gesellschaftliches Interesse an der Bereitstellung von öffentlichen Verkehrs-Finanzmitteln für die Umsetzung der Querungshilfen.

Verankerung in Planungswerke

Die national, überregional bzw. regional bedeutsamen Wildwanderwege bzw. Fernwechsel und Bewegungsachsen bedürfen der Aufnahme in die Raumplanung sowie die Richt- und Fachpläne wie den Bundesverkehrswegeplan. Das Netz der Wildtierwanderungen gilt es gerade auch in das nationale Verbundnetz NATURA 2000 der Europäischen Union aufzunehmen.



Zielarten für einen vernetzten Migrationsplan

Der Rothirsch ist durch sein Vorkommen in 140 räumlich weitgehend isolierten Rotwildgebieten, seine hohen Ansprüche gegenüber der Dimensionierung von Querungshilfen und dem weitgehend unterbundenen Genaustausch eine geeignete Zielart für die Herstellung eines flächendeckenden Durchlässigkeitsprogramms. Dies wird dadurch unterstrichen, dass derzeit 12 im Bau befindliche Bundesautobahnen bestehen, welche zu erheblichen Konflikten mit Rotwildwanderungen stehen. Als eine weitere Zielart eignet sich der stark gefährdete Luchs, weil dessen von Natur aus geringe Populationsdichte durch den Verkehr besonders gefährdet ist.

Grenzüberschreitende Wechsel

Grenzüberschreitende Wanderachsen gilt es im Migrationsplan besonders zu berücksichtigen. Das wird etwa deutlich am Oberrhein, der heutzutage eine schwer zu überwindende Grenze für Großsäuger wie Luchs, Wildkatze oder Rothirsch bedeutet. Deshalb muss der Erhaltung letzter verbliebener grenzüberschreitender Wanderachsen zwischen Südschwarzwald und Schweizer Jura besonders im Bereich des oberen Hochrheins eine besondere Aufmerksamkeit eingeräumt werden.


Bauausführung

Damit die Effizienz von Querungshilfen für Wildtiere gewährleistet ist, bedarf es der verstärkten Zusammenarbeit von Wildbiologen, Straßenplanung, Bauleitung und Baufirmen bei der Umsetzung solcher Bauwerke.


Stuttgart, den 23.7.2001    

 


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