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INFO 9/2001

Ökologisierung der Landwirtschaft

Landesnaturschutzverbandes unterstützt die Agrar-Wende

Ausgelöst durch den Zusammenbruch des Rindfleischmarktes infolge von BSE hat die Bundesregierung eine wesentliche Neuausrichtung ihrer Agrarpolitik angekündigt, deren wesentliche Inhalte in einem Papier des Kanzleramtes in erfreulich konkreter Form dargelegt sind (veröffentlicht z.B. von der Akademie für Natur- und Umweltschutz Baden-Württemberg). Diese sogenannte "Agrarwende" drückte sich auch durch einen personellen Wechsel im Bundeslandwirtschaftsministeriums aus.

Die Ziele der Ökologisierung in der Landwirtschaft greifen - explizit oder implizit - einen Großteil der Kritik der Naturschutzverbände an der bisherigen Agrarpolitik auf. Der Landesnaturschutzverband Baden-Württemberg e.V. (LNV) unterstützt die Ökologisierung deshalb ausdrücklich. Das vorliegende Info beschreibt ihre Inhalte und gliedert sich dazu in:

  1. Ziele der Ökologisierung
  2. Instrumente der Ökologisierung
  3. Die drei Segmente der künftigen Landwirtschaft
  4. Rechtliche Änderungen
  5. Unterstützung der Ökologisierung
  6. Haltung des LNV



    • Die gesamte Förderung der Landwirtschaft muss zu Lasten der reinen Produktionsorientierung künftig strikt auf ihre "Multifunktionalität" (Boden- und Wasserschutz, Förderung der Artenvielfalt und des Landschaftsbildes) ausgerichtet werden. Dies geschah bisher nur rhetorisch.
    • die Haltung und der Transport der Tiere muss über das unzureichende Tierschutzgesetz hinaus den Anforderungen des Tierschutzes genügen
    • Antibiotika in der Tiermast zur Leistungsförderung sollen ausgeschlossen werden (sie haben nur als Arzneimittel eine Berechtigung)
    • die hohen Nährstoffüberschüsse, die in Gewässer und Luft gelangen, müssen reduziert werden
    • chemische Spritzmitteln dürfen künftig nur noch nach eng ausgelegten Prinzipien des integrierten Pflanzenschutzes angewandt werden
    • der ökologische Landbau muss - entsprechend seiner positiven Umweltauswirkungen im Vergleich zur konventionellen Landwirtschaft - stärker gefördert werden.
    • der ökonomische Unsinn der subventionierten Exporte von Überschüssen muss beendet werden, die unter Beschädigung von Landschaft, Natur und Böden erzeugt wurden
    • Die Verteilung der Fördermittel muss gerechter werden. Bislang erhalten nur 4 % der Bauern 40 % der Ausgleichszahlungen.
    • Die landwirtschaftliche Förderung soll so verändert werden, dass sie mit den internationalen Handelsstandards der World Trade Organization (WTO) vereinbar ist (Green-Box-Maßnahmen).



    Zur Lösung der angesprochenen Probleme - vom Naturschutz seit Jahrzehnten angemahnt - will die Bundesregierung zweigleisig vorgehen.

    Zum einen soll die landwirtschaftliche Förderpolitik so umgebaut werden, dass die Landwirte nicht zu einer umweltbelastenden maximalen Produktion, sondern zu einer umweltgerechten Qualitätsproduktion angeregt werden. Die in Sonntagsreden vielbeschworene Multifunktionalität der Landwirtschaft soll sich endlich auch in der konkreten Förderpolitik niederschlagen.

    Die sogenannte "zweite Säule der EU-Agrarpolitik" (Agrarumweltprogramme, nachhaltige ländliche Entwicklung) soll zu Lasten der "ersten Säule" (Marktordnung, Preisausgleichszahlungen, Exporterstattungen, Verarbeitungssubventionen, Tierprämien etc.) ausgebaut werden.

    Parallel dazu soll der Verbraucher durch eine Kampagne dazu gebracht werden, dass er die Qualität von Nahrungsmitteln wieder neu schätzen lernt und nicht - wie zu oft in der Vergangenheit - nur auf den Preis achtet. Mehr Ökoprodukte zu produzieren, wenn sie auf dem Markt nicht zu angemessenen Preisen absetzbar sind, wäre eine Sackgasse.



    Beim Umbau der Agrarpolitik sollen künftig drei Segmente der Agrarwirtschaft unterschieden werden, die auch in einer klaren Kennzeichnung der Produkte zum Ausdruck kommen sollen: die "gewerbliche Landwirtschaft", die "multifunktionale Landwirtschaft" und der "Öko-Landbau".
    Die "gewerbliche Landwirtschaft", die weniger durch die Betriebsgröße sondern vielmehr durch intensive Produktionsweisen und eine starke Spezialisierung charakterisiert ist, verursacht die meisten Umweltprobleme (hohe Intensität, enge Fruchtfolgen, geringe Flächenbindung). Auch die gewerbliche Landwirtschaft hat sich künftig an konkreter gefasste gesetzliche Bestimmungen zu halten. Hierzu gehören u.a. verschärfte pflanzenschutzrechtliche Regelungen, Tierschutz- und Fütterungsauflagen und Regeln für die Düngung. Die gewerbliche Landwirtschaft soll künftig von der Förderung ausgeschlossen sein: die Einhaltung von gesetzlichen Auflagen ist aber noch keine gesellschaftlich zu honorierende Leistung.
    "Multifunktionale Betriebe" sind solche, die noch genauer zu entwickelnden umweltbezogene Minimalkriterien einhalten, z.B.:
    • Die Tierhaltung ist an die Fläche gebunden, es sind maximal 2 GVE pro ha erlaubt.
    • Landschaftselemente und -strukturen wie Hecken, Raine, Feldholzinseln, Bachläufe, Trockenmauern etc. machen einen bestimmten Mindestanteil (beispielsweise 5 %) an der bewirtschafteten Nutzfläche aus.
    • Es wird eine Mindestfruchtfolge vorgeschrieben (kein Daueranbau derselben Frucht)
    • Die Schlaggröße im Ackerbau wird begrenzt.
    (Liste nicht abschließend)

    Anstatt der bisherigen Flächen- und Tierprämien und den Preisausgleichszahlungen sollen alle Betriebe, die die definierten Minimalkriterien der multifunktionalen Landwirtschaft einhalten, eine Flächenprämie unabhängig von der angebauten Kultur erhalten. Ergänzend zu dieser Basisprämie werden den Landwirten weitere Angebote unterbreitet, die sie freiwillig nutzen können. Diese bestehen im Ausbau der bestehenden Agrarumweltprogramme (in Baden-Württemberg also des MEKA) und haben zum Ziel, die Vielfalt in der Landschaft und die Qualitätsproduktion weiter zu fördern.

    Für Betriebe des ökologischen Landbaus gelten hinsichtlich der Anbauregeln die einschlägigen EU- Verordnungen. Sie können das Prinzip der Multifunktionalität am weitestgehenden verkörpern. Ihre Produktion wird im Rahmen der Agrarumweltprogramme unterstützt. Selbstverständlich gelten für die Öko-Betriebe zusätzlich alle sonstigen Grundregeln und Förderungen wie für die Betriebe aus dem Segment "multifunktionale Landwirtschaft".

    Die gewerbliche Landwirtschaft umfasst heute - grob geschätzt - bundesweit etwa 15 % der Betriebe. Die meisten Betriebe gehören - eventuell nach geringfügigen Anpassungen - zu Segment 2. Für die ökologisch betriebene Agrarwirtschaft wird bis 2010 ein Anteil von 20 % anvisiert (derzeit: 2,6 %). Dass es Spielräume für eine dynamische Entwicklung gibt, zeigt z.B. die Entwicklung in Österreich. Dort werden ca. 10% der Fläche ökologisch bewirtschaftet, im Raum Salzburg hat man 40 % erreicht.



    Derzeit sorgen 62 verschiedene Vorschriften zum Futtermittelrecht auf EU-Ebene mehr für Verwirrung denn für einen vorsorgenden Verbraucherschutz. Dieser Rechtswirrwarr soll durch eine Positivliste ersetzt werden, so dass Kühe künftig (fast) nur noch Gras, Wasser und Getreide bekommen. Und Kälber sollen im Normalfall wieder Milch trinken und keine industriellen Milchaustauscher. Die Tierhaltungsvorschriften sollen auf hohem Tierschutz-Niveau harmonisiert werden.

    Die "gute fachliche Praxis" in der Landwirtschaft war auch ohne BSE-Krise schon in der Diskussion. Bestimmte Regelungen werden derzeit neu ins Bundesnaturschutzgesetz aufgenommen. Darüber hinaus kommt es darauf an, die derzeit sehr schwammig formulierten Bestimmungen in der Düngeverordnung und im Pflanzenschutzmittelrecht so konkret zu fassen, dass alle Landwirte so wirtschaften, wie es besonders gut geführte Betriebe bereits heute tun. Hoftorbilanzen für Nährstoffe und eine gute Dokumentation der Bewirtschaftung in Schlagkarteien helfen dem Landwirt, die Umwelt zu schonen und gleichzeitig Betriebsmittel einzusparen.

    Nachdem Studien belegen, dass das Pflanzenschutzgesetz und die Düngeverordnung auf breiter Front nicht eingehalten werden, muss künftig auch konsequenter kontrolliert werden.



    Die angestrebte Ökologisierung in der Landwirtschaft kann nicht von der Bundesregierung allein umgesetzt werden. Manche Maßnahmen sind schon jetzt auf der Grundlage der Agenda 2000 möglich. Für Anderes sind EU-rechtliche Änderungen notwendig. Wenn man die Diskussion im Rahmen der Agenda 2000 verfolgt hat, weiß man aber, dass die EU-Kommission vielen Ideen der Ökologisierung durchaus aufgeschlossen gegenübersteht und an der Umsetzung bisher durch die von nationalen Egoismen geprägte Haltung der Agrarminister gehindert wurde. Auch Deutschland hat in der letzten Legislaturperiode seinen Teil dazu beigetragen, eine umweltverträglichere Agrarpolitik zu verhindern.

    Die Länder haben in ihrem Zuständigkeitsbereich eigentlich noch eine größere Bedeutung bei der Ökologisierung als der Bund. Sie sind gefordert, die Ideen der Ökologisierung aktiv zu unterstützen. Die baden-württembergische Landesregierung ist der Auffassung, bei uns seien keine großen Veränderungen nötig, da die Landwirtschaft hier bereits den Zielen der Ökologisierung entspreche. Auch wenn man bei uns dank MEKA und anderem etwas weiter ist, zeugt diese Aussage von einem geringen Problembewusstsein, das dringend vom LNV und anderen Naturschutzverbänden geweckt werden muss.

    Der Verbraucher muss durch sein Nachfrageverhalten die Ziele der Ökologisierung in der Landwirtschaft ermöglichen. Voraussetzung dafür ist eine aussagekräftige Kennzeichnung von landwirtschaftlichen Produkten. Der Verbraucher muss erkennen können, woher ein Produkt stammt und wie es produziert wurde. Solange er hier im Unklaren gelassen wird, braucht man sich nicht zu wundern, wenn er im Supermarkt meist nach dem billigsten Produkt greift.

    Neben der Kennzeichnung muss der Verbraucher aber auch motiviert werden, Produkte aus multifunktionaler und ökologischer Landwirtschaft zu kaufen und dafür angemessene Preise zu bezahlen. Dies wird nicht leicht, da die Werbung und die Handelsklassen bisher nur auf den Preis und die Optik abzielten. Deshalb ist eine umfassende Werbekampagne notwendig, die das Image von Öko- und Qualitätsprodukten verbessern soll.



    Der LNV unterstützt die Ziele der Ökologisierung in der Landwirtschaft ausdrücklich. Er hält auch das vorgesehene Instrumentarium (siehe Abschnitt 2) für zielführend und sachgerecht. Er fordert die baden-württembergischen Bauernverbände und das Ministerium für Ernährung und den Ländlichen Raum auf, in Fortsetzung des bereits in der Vergangenheit mit MEKA eingeschlagenen Weges die einzelnen Maßnahmen im Rahmen der Ökologisierung nicht zu blockieren, sondern aktiv zu unterstützten. Dies umfasst auch die Neudefinition der "guten fachlichen Praxis" und die Neuausrichtung der Agrarförderung des Landes.

    Von der Bundesregierung erwartet er, dass sie neben der Krisenbewältigung (BSE und MKS) auch die mittelfristigen Ziele der Ökologisierung nicht aus den Augen verliert. Im Zuständigkeitsbereich des Bundes heißt dies insbesondere die Einführung der Cross-Compliance (Umweltstandards als Voraussetzung für Förderung) und der Modulation (Prämienkürzungen und Umschichtung der freiwerdenden Mittel in Agrarumweltprogramme). Darüber hinaus soll umgehend die gute fachliche Praxis konkreter gefasst werden und es muss ein Konzept für die EU-Verhandlungen zur Agenda 2007 vorgelegt werden.

    Auch wenn die Ökologisierung in der Landwirtschaft unter dem Strich die Kosten der Agrarpolitik eher verringert (Einsparung der Marktordnungskosten), kann es in einer Übergangszeit zu einem erhöhten Finanzbedarf auf nationaler Ebene kommen. Hierfür müssen die nötigen Mittel bereitgestellt werden.

    Manche Entscheidungen des Bundeslandwirtschaftsministeriums widersprachen nach Ansicht des LNV sogar den Zielen der Ökologisierung: die Bestandskeulung bei BSE-Fällen (inzwischen zurückgenommen), Impfverzicht bei MKS mit dem Verweis auf die Exportmöglichkeit und Wiederzulassung von Fischmehl im Tierfutter. Der LNV ermutigt die Bundesregierung, die wesentlichen Weichenstellungen der Ökologisierung in der Landwirtschaft trotz alles Lobbyistendrucks vorzunehmen.

    Dr. Gerhard Bronner
    Refernet für Landwirtschaft des LNV

     


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